Seit über 50 Jahren ist der Name „Prisma“ den Speyerern – und nicht nur diesen – ein Begriff. 50 Jahre bewegte Theatergeschichte, vor und hinter den Kulissen. Wie aber ist es dazu gekommen, dass in der Domstadt eine Laienschauspielgruppe entstand, zu einer Zeit, in der es weder Schultheater- noch andere Laiengruppen gab und die einzigen Aufführungen, die die Bürger zu sehen bekamen, die von professionellen Theatergruppen waren, die bei ihren Tourneen in der Domstadt ein, zwei Mal im Jahr Station machten?
In der Mythologie ist die Muse eine Frau. Und auch in diesem Falle waren es drei weibliche kreative Köpfe, die sich in den 60er Jahren zusammenfanden, um der Kunst und Kultur Ausdruck zu verleihen. Aber zunächst einmal der Reihe nach…
1956 zog es die junge schottische Studentin Dawn Anne Dister von Edinburgh nach Deutschland, genauer Speyer. Die Freude an der Sprache, dem Ausdruck im Spiel und der Bewegung hatte sie sich von Kind an bewahrt. „Meine Mutter hat mich zum Tanz und zur Sprecherziehung und zum Ballroomdancing angemeldet“, erzählt sie – wen wundert’s – in akzentfreiem Deutsch. Dabei funkeln die grünen, energischen Augen, die Begeisterung ist ihr deutlich anzumerken. „Später habe ich dann Prüfungen an der London Academy of Speech and Drama Prüfungen abgelegt“. Schon früher an der Schule gab es die Möglichkeit, außerhalb des Lehrplans Unterweisungen in Gedichtvortrag und Atemtechnik zu belegen. „Eigentlich sollte es so etwas auch hier geben“, meint sie, gerade in Regionen mit starker Dialektfärbung. In der Domstadt lernte sie schließlich ihren späteren Mann, den Speyerer Künstler Rudolf Dister, kennen und wurde so zur Speyerer Bürgerin.
Der Kunst verschrieben hatte sich auch Ilse Benninger. Neben ihrer Arbeit im Atelier, wo die Künstlerin abstrakte Werke, Bildgraphiken, -batiken und Tryptichen schuf, galt auch Benningers großes Interesse der Musik und Literatur. Als Mitglied der Gemeinschaft Organisierter Künstler Deutschlands machte die Künstlerin Bekanntschaft mit der Frau ihres Kollegen Dister.
Nur einige Häuser von Dawn entfernt wohnte Regine Schulz, Modedesigner- und -graphikerin, 27 Jahre lang als freie Mitarbeitern bei Burda-Moden tätig. Eigentlich wollte Schulz Bühnenbildnerin werden, begann deshalb eine Schneiderlehre. Nach drei Jahren an der Modeschule fand sie jedoch rasch eine Anstellung und verzichtete dann auf eine weitere Ausbildung. Denn inzwischen hatte sie eine Bühnenbildnerin kennen gelernt und von deren negativen Erfahrungen – „man steht immer zwischen Regisseur, Intendant und Schauspielern“ – erfahren. „Aber es blieb trotzdem immer diese Liebe zum Kostüm“, erzählt sie heute lächelnd.
Drei Frauen, deren Tage und Abende als Berufstätige, Mütter und Ehefrauen – Ilse Benninger und Regine Schulz betreuten als Arztfrauen noch die Praxen ihrer Männer mit – eigentlich voll ausgefüllt waren, suchten nach mehr.
Schließlich sprach Dawn ihre Nachbarin Regine beim Einkaufen an, ob sie nicht Interesse daran hätte, gemeinsam Theaterstücke zu lesen – einfach so zum Vergnügen. Hatte sie. Und auch Ilse war schnell von der Idee zu begeistern. So trafen sich die drei regelmäßig und lasen Stücke mit verteilten Rollen. Eines Tages machte jemand den Vorschlag – inzwischen weiß keine mehr genau wer – ein Stück aufzuführen. Keineswegs eine selbstverständliche Idee zu dieser Zeit. Denn so etwas hatte es in der Domstadt bis dahin noch nie gegeben – Lehrer und Arztfrauen, die Theater spielten! Aber es entspräche nicht dem Temperament der Frauen, einen einmal gefassten Entschluss nicht umzusetzen. Gesagt, getan.
Dawn fungierte immer mehr als energiegeladener Motor der Truppe, führte intern die Regie und wurde schließlich auch „offiziell“ zur Regisseurin erkoren. Schließlich schlug sie vor, das Stück „Bunbury“ von Oscar Wilde zur Aufführung zu bringen. Auch wenn zunächst nicht an weitere Stücke gedacht war, galt von Anfang an das Ziel, anspruchsvolle Stücke zu finden mit möglichst gleichwertigen Rollen. Das große Drama sollte es nicht geben, ebenso wenig den großen Star. Die klassischen großen Tragödien wollten sie zunächst meiden – denn diese hätten leicht zum Lacherfolg werden können. „Aber die englischen Komödien sind sogar eher noch schwieriger zu spielen“, sagt Dawn. Und das gilt insbesondere für „Bunbury“. Die Gesellschaftskomödie lebt durch ihren Sprachwitz, ihre Ironie und Findigkeit, das geschliffene Wort und seine verblüffend aktuelle Gesellschaftskritik.
Das Stück war erkoren. Wo aber einen passenden Ort finden? Die Speyerer Stadthalle gab es noch nicht. Der Alte Stadtsaal fungierte als Ping-Pong-Halle für die städtischen Angestellten. Schließlich tat Dawn die Möglichkeit auf, die Aula des Nikolaus-von-Weis-Gymnasiums zu nutzen. Was nun noch fehlte, waren weitere Mitspieler. Für die männlichen Rollen gewann die Lehrerin Referendare und Kollegen ihrer Schule.
Jetzt galt es, aus der Bühne mit grauen Vorhängen einen Salon der feinen englischen Gesellschaft entstehen zu lassen. Keinen leichte Aufgabe – für Ilse und Regine jedoch eine Herausforderung. Ilse Benniger kreierte Scherenschnitte für die Bühnendekoration. – Noch heute wird sie darauf angesprochen und danach gefragt. Zusammen mit ihrer Tochter entwarf sie auch das Plakat für das Stück. Regine Schulz zeichnete für die Kostüme verantwortlich. Sie entwarf und nähte sie selbst. Da ratterte Monate vor der Premiere tage- und nächtelang die Nähmaschine, die gute Stube war voll von Stoffen. „Manchmal hätte ich die Nähmaschine am liebsten aus dem Fenster geworfen“, sagt sie. „Aber schließlich hat es ja auch Spaß gemacht.“
Den ganzen Winter über wurde genäht, geprobt, kreiert. Am 16. Mai 1968 war dann der große Tag der Premiere gekommen. „Wir waren so aufgeregt. Wir haben gezittert wie Espenlaub“, berichtet Ilse. Das ungewöhnliche Ereignis – „Speyerer Lehrer spielen Theater“ titelte die Presse damals – rief eine große Resonanz hervor. – Und eine enorme Begeisterung. Das Publikum war euphorisch, die Presse gleichermaßen. „Mit so vielen Zuschauern hatten wir überhaupt nicht gerechnet, wir mussten noch Stühle hereinschleppen“, erzählt Dawn. Aber auch das reichte noch nicht aus. Die Truppe beschloss daher, das Stück noch ein zweites Mal aufzuführen – mit nicht minder großem Erfolg. Von diesem Zeitpunkt an war klar: „Wir wollen weitermachen.“
Zwei bis drei Jahre später gab sich die lose Gruppierung, die sich bis dahin „Freunde des Theaters“ genannt hatte, einen Namen: „Prisma“ – ein Name der in Speyer zu einem festen Begriff für Theater und zu einer Institution werden sollte.
Jedes Jahr folgte ein neues Stück. Die Aufführungen verschoben sich mit der Zeit vom Frühling auf den Herbst, die Zahl der Aufführungen stieg auf sieben. Viele Mitspieler kamen und gingen. Die Speyerer Referendare blieben meist nur eine „Saison“. Die drei Frauen aktivierten interessierte Verwandte und Bekannte und können davon so einige Anekdoten berichten. So etwa von Regines Mutter, die bei der „Komödie der Eitelkeiten“ mitspielte, auf der Bühne im Dunkeln stürzte, sich ein Bein brach, so dass die Rolle kurzfristig umbesetzt werden musste. „Es ist aber trotzdem gut gegangen“, sagt Regine. Oder von einem Ministerialdirigenten a.D., der nicht mehr mitspielen wollte, weil ihm das Ganze zur „verrucht“ und nicht bürgerlich genug erschien. Oder vom Stück „Bleiwe losse“, das die Gruppe 1977 in der Justizvollzugsanstalt Mannheim aufführte und zunächst mit einem Pfeifkonzert begrüßt wurde. „Doch langsam tauten die Gefangenen auf. Wir waren fasziniert, wie sie mitgingen. Sie waren sensibler als jedes andere Publikum“, so Dawn.
Bis 1989 führe Dawn Regie bei den Stücken. „Sie hatte immer eine gute Hand für die Rollenbesetzung. Da war der Erfolg schon vorher garantiert“, sagt Regine. „Aber später haben sich bestimmte Leute immer mehr in bestimme Rollen gedrängt gefühlt. Ilse war immer die flatterhafte, Dawn war immer die ältere, ich die jüngere und meine Mutter die Mutter“.
Schließlich verabschiedeten sich die drei Gründungsdamen aus der Gruppe. Ilse 1980. „Das hängt mit den Stücken und dem Alter zusammen“, sagt sie. Und zudem hatte sie immer mehr Arbeit mit ihren Ausstellungen. Auch Regine verlegte sich „nur“ noch aufs Nähen, zog sich vom Spiel zurück. Dawn zog 1989 nach Bad Dürkheim um. Auf der Bühne steht inzwischen eine neue Generation von „Prisma“-Akteuren. Doch wenn die drei Frauen erzählen, können sie noch heute aufs Stichwort aus fast jeder ihrer Rollen zitieren – inklusive entsprechender Gestik. Und ihre Augen glänzen dabei.
Ein Interview mit Dawn Dister, Ilse Benninger und Regine Schulz
mit Beate Klehr-Merkl, Januar 2002